Die Gemeinde Rondeshagen im Kreis Herzogtum Lauenburg
Rondeshagen im Jahre 1945

Am 07.07.2008 sandte mir Helga Tollgreve ihre Erinnerungen aus der Zeit des Kriegsendes (8. Mai 1945). Sie nennt es "Erinnerungen der letzten Tage vor und nach der Befreiung von der Nazi-Herrschaft". Sie bat mich, diese auf der Rondeshagen-Seite zu veröffentlichen.

in den 1980er
im Jahre 1950
im Jahre 2007
 

Die letzten Tage

In einer Nacht Ende April erwachte ich von vielen Stimmen und konnte aber nichts verstehen. Unser Kinderzimmer lag nach Süden und die Leute unten mussten schon um das ganze Gebäude herumgegangen sein, es waren viele. Weil  zu dem Zeitpunkt immer noch die Grenzziehung zwischen Russen und den westlichen Allierten nicht klar war, die bei der Jalta-Konferenz zur Debatte standen, war mein Erschrecken groß und ich dachte, nun sind die Russen da. Als ich mich aus dem Fenster beugte um zu sehen, was sich da unten tat, hörte ich zu meiner großen Freude plattdeutsche Worte ,"dor muett doch wek sien". Mir fiel ein Stein vom Herzen. Niemand auf dem ganzen Gehöft schien gehört zu haben, was da passierte. So kann dauernde Gefahr abstumpfen, denn unser Hof war voller Flüchtlinge. In der Küche schliefen alte Leute auf dem Boden, sie waren am Abend mit grossen Trecks bei uns angekommen und konnten nicht weiter, weil eines der Pferde tot umgefallen war von der Plagerei im Treck. Es wurde in der Senke auf dem Kirchfeld begraben und Herr Linde der Eigner des Pferdes musste mit ansehen, wie man es vergrub, er hatte noch zwei andere Pferde und konnte sie bei uns einstellen, eines hiess patriotisch wie er als Offizier des 1.Weltkrieges war,Bluecher .Entsetzlich fand ich dann ,dass eine Nachbarin, Frau Relling [siehe auch : `Hofstelle Relling`] mit einem riesigen Messer bewaffnet sich auf das verendete Tier stürzte und sich ein großes Stück herausschnitt, bevor Erde über das Tier geschaufelt wurde. Sie wollte davon Seife kochen und verteidigte ihr makabres Tun mit : "Na und, es ist doch tot". Wenn man sich damals nicht mit scheuernder Sandseife ohne Schaum waschen wollte , kochte man sich auf diese Art zusammen mit Seifenstein Seife.

Das Militär, das mit zahllosen Soldaten und Offizieren bei uns ankam, quartierte sich in der Scheune ein, sie machten sich sogar eine Feuerstelle auf dem Scheunenboden. Aber dazu komme ich später. In diesen Tagen kamen Offiziere in unser Haus und sahen sich die Räume an und unsere "Beste Stube", die wirklich für damalige Verhältnisse ein Schmuckstueck war, gefiel ihnen so, dass sie das Hauptquartier für die Zone dort einrichteten. Ein Oberstleutnant Giebelhausen hatte das Kommando, er war ein zierlicher, drahtiger Mann und wie sich später herausstellte sehr mutig und der Retter unseres Gebietes vor einem grossen Massaker. Es hatten sich nämlich in der Nähe von Klein Weeden SS-Leute eingegraben, um noch zu verteidigen, was gar nicht mehr zu verteidigen war. Er hat erreicht ,dass sie aufgaben und abzogen und er fuhr durch das ganze Getümmel nach Talkau mit einem Motorrad, da muss eine wichtige Heersestelle gewesen sein, er kam in der Nacht vor der Kapitulation zurück und erklärte meinem Vater, dass es bald vorbei ware, es hätte keinen Zweck mehr. Es waren noch einmal Soldaten gekommen am Abend spät und sie schliefen in den Futtergängen vor den Kühen, die Zudecke war Stroh, aber es war warm. Mein Vater bedauerte sie und sagte, nun seid ihr wohl froh, dass es bald vorbei ist, da stellte sich einer von ihnen vor ihn und brüllte ihn an , "dafür könnte ich Sie erschiessen lassen", wir könnten immer noch  siegen, aber auf die Landser ist kein Verlass, sie sind feige gewesen. Erschossen hat er meinen Vater nicht, aber der zog sich bedeppert über so einen Unsinn zurück.

Aber auch in unserem Dorf gab es Unverbesserliche, Ulrich V. Meyer, stand zum Reden mit R.(udolf) Juers [siehe auch : Hofstelle Paetau) auf dessen Hof am 20.April 1945 und da ich Meyer mit "Heil Hitler" grüßen musste ,damit mein Vater keine Schwierigkeiten hatte, aber Juers grüßte ich immer mit "guten Tag" ,so war es mir peinlich, jetzt anders zu grüßen und ich tat es normal, da rief mir Meyer zu, "aber Helga, heute ist Führers Geburtstag, Heil Hitler heisst es". Später wurde er nach einer Entnazifizierungshaft CDU -Mitglied.

Die Einquartierung auf unserem Hof nahm Ausmaße an, die sich heute keiner vorstellen kann. Der Kornspeicher im Haus war mit einer Gutsverwalter-Familie aus der Uckermark  belegt, trotz allem wurde geliebt. Diese Familie schlief auf dem Boden und morgens, wenn ich aufstand, lag die Frau mit ihrem Ehemann und Geliebten in einer Reihe .Die beiden Männer waren noch jung und sicher desertiert oder hatten sich irgendwie anders vor dem Krieg gedrückt. Später stahlen sie dem Gutsbesitzer der auf dem Nachbarhof kampierte, die Autoreifen von einem Mercedes.

    
 
Hofstelle der Familie Heins
 

Unsere Petersens [Flüchtlinge] hatten sich von zuhause sehr gut eingedeckt und Zeit gehabt Teppiche ,die sie später als Trennwände benutzten und etliche 20 l-Kannen Schweineschmalz und viele andere Sachen, die nicht mal wir mehr hatten, mitgebracht, sie mussten sehr clevere Leute gewesen sein. Die Frau machte uns das Leben schwer mit ihrer Herrschsucht, zankte sich dauernd  mit unserer Hausangstellten, wie meine Mutter das alles aushielt ??,denn in unserer Küche kochten alle auf demselben Herd, wie das gegangen ist ???? Nur meine Mutter verlor nie die Geduld und versuchte Frieden zu halten.

Das war aber schon nach der Kapitulation. Die kam am 7.oder 8.Mai und begann an einem schönen Frühlingstag mit Luftkampf wie so oft über uns, aber dann geschah etwas Ungewöhnliches: ein dumpfer Knall ein Pfeifen in der Luft und Herr Linde, der Offizier aus Pommern, hatte mir mal gesagt ,das wäre dann Artillerie und Deckung wäre angesagt, noch heute frage ich mich ,wie die Militärs, die auch auf dem Hof standen, das nicht so schnell kapierten wie ich, ich riss meine kleine Schwester,die wohl gerade vier war in meine Arme und lief ins Haus,dort wartete schon erschrocken der Rest der Familie mit Bettzeug im Arm und sie stiegen in den Keller herab. Komischerweise hatte ich keine Angst mehr, die ich immer hatte, wenn über uns die Fliegerschwärme brummten, ich war in freudiger  Erwartung des Endes von Bomben und allem was dazugehörte. Die ganzen Jahre waren auch für Kinder eine Belastung.

Oben bereiteten die Offiziere sich auf Gefangenschaft oder Abzug vor, das weiss ich nicht so genau, sie waren irgendwie auch wie erlöst, ein Oberst  bat mich ,ihm einen Knopf ans Hemd zu nähen, eine Situation,die mich heute noch staunen und lachen läßt. Als ich fertig war ,sagte er,"Mädchen du hast wirklich gute Nerven", ich war ja auch erst 13 Jahre alt. Aber er hatte auch welche und Disziplin wie ein Preusse. Draussen grummelte und ballerte es immer noch, ein Schuss schlug bei dem Haus von (heute)  Arend  im Garten ein und unser Franzose, der gerade ins Lager bei Schuenemann laufen wollte kam erschrocken zurück und blieb bis alles ruhig war bei uns. Es war herrliches Wetter ,ein blauer Himmel und das Blitzen von Flugzeugen wie immer über uns, sie flogen in grossen Schwärmen über uns hinweg nach Berlin?

In Blankensee hatte uns seit Kriegsbeginn die Flak mit großen und kleinen Eisensplittern eingedeckt ,wir sammelten sie morgens im Garten auf, dass niemals einer das Pappdach durchbohrte war ein Wunder. (Info über Blankensee als Flughafen in dieser Zeit)

Der Franzose kam aus Toulouse und hatte fast gar keine Zähne mehr, obgleich er noch keine 40 Jahre alt war. Er zeigte uns manchmal Briefe von seiner Frau und seine Antworten auch ,und beide  hatten so eine kultivierte Schrift, dass ich seine ganze Ungepflegtheit, er hatte soviel Flöhe,dass seine Kameraden seine Nähe mieden, für Patriotismaus hielt, auch wenn er seine eitrigen Nasensekrete nicht abwischte oder die deutsche Sprache zu sprechen einfach verweigerte, nur abends ,wenn die Lampen erloschen wegen der Stromsperre,sagte er immer: "Hitler grosses Schwein immer Licht aus ,grosse Schweinerei", das konnte er sehr gut und deutlich sagen und er bekundete damit sein Vertrauen zu uns, denn es war streng verboten, solche Dinge zu sagen oder anzuhören, dazu noch von einem Kriegsgefangenen. [Kriegsgefangene/Zwangsarbeiter in Rondeshagen : siehe auch Zwangsarbeiter (bei `Ella Thorn` und `Lisa Schmidt`) ]

Einmal, ich war  etwas über 10 Jahre alt [1942], riss mir der Geduldsfaden  auf einem Bann oder Gruppen-Meeting der Hitlerjugend, Christa Geerds aus Sarau war die Leiterin unsere Gruppe und hielt dämliche Vortraege auch über die Kriegsgefangenen, das machte mich so wütend, dass ich mich mit der Bemerkung meldete: Wenn unser Gefangener nicht immer so eine schmutzige Nase hätte beim Essen ,würde ich es gut finden ,wenn er bei uns am Tisch äße. Diese Person , blickte mich verwerflich an und begann zu schreiben, fragte nach meinen Daten, Wohnort u.a., was sie damit machte, weiß ich nicht, vielleicht hatte mein Vater irgendeinen Befürworter ,es war jedenfalls besorgniserregend für mich als Kind.

Später war ich noch manchmal wieder in solchen oder ähnlichen Situationen - Gerechtigkeit ist ein schmaler Weg.Die "Tommys" wie sie genannt wurden, quartierten sich im Schloss ein, dass total leergeräumt wurde und von da aus regierten sie das Gebiet. Am Abend der Kapitulation, standen, als ich aus dem Dorf nach Hause kam, zwei Tommys mit Maschinengewehren im Anschlag zu beiden Seiten unserer Pforte und ließen mich nur unwillig durch. Drinnen war eine sogenannte Ordonanz dabei ,den Oberbefehlshaber der Gegend gefangen zu nehmen. Dieser schon oben erwähnte Giebelhausen, bedeutete ihnen aber ,dass er von allem nun müde sei, tagelang nicht schlief und nun dringend schlafen müsse. Und die englishen Offiziere waren so fair, das zuzulassen. Das hat mich sehr beeindruckt. Im Dorf damals als sie einrollten auf ihren Panzern in unendlichen Kolonnen , geschahen auch wundersame Dinge und lehrten mich sehr viel.

Die älteren Frauen standen mit weißen Bettlaken an der Strasse und winkten den fröhlich grinsenden Soldaten zu. Bis plötzlich aus der Villa Ruhetal der damalige Besitzer mit seiner hübschen Tochter vom Balkon schrie ,dass wir Verräter wären und man uns alle abknallen sollte. Nur ein paar Wochen später wurde die üppige Tochter mit einem englischen Offizier in trauter Gemeinschaft im Kanalschilf entdeckt. Das war ihre Vaterlandsehre. War ja gar nicht schlimm ,aber so wie sie sich zuerst verhielt ,das war das Verwerfliche.Viele unserer Frauen hatten Techtelmechtel mit den Soldaten, die hatten Schokolade und Zigaretten reichlich und konnten dafür alles haben. Es wurden auch ein paar Sprösslinge gezeugt im Vorfeld der Europäisierung.

An einem Sonntag wurde der gewesene Bürgermeister Benthin als Strafe dazu verdonnert ,die einquartierten Soldaten und Offiziere baden zu müssen. Das Ganze wurde organisiert in der grossen Diele bei Adolf Sierig, heute Dr.Ortmann [Schwarzer Weg]. Große Bottiche wurden herangeschleppt und irgwendwo Wasser erhitzt ,wo weiß ich nicht mehr, wir durften nicht zu dicht ran, aber geluschert haben wir schon und sahen so manchen fetten Tommyrücken. Meinen Vater erbarmte das Ganze und er half dem Ex-Bürgermeister beim Wassertragen und wohl auch beim Schrubben, die Burschen ließen es sich gutgehen, ich meine die Tommys. Das geschah nur das eine Mal, glaube ich. Später haben sie sich wohl selber gewaschen, es sollte eine Demütigung sein. Sie blieben auch höchstens den Sommer über [1945], wenn ich mich recht erinnere.

Daneben strömten unentwegt Flüchtlinge [Flüchtlinge : siehe auch `Lisa Schmidt] in und durch unsere Gemeinde, manche blieben, wenn Kinder und Kranke nicht weiter konnten, aber die meisten zogen weiter. Die Umsiedlung in andere Bundesländer begann erst langsam 1947, da wurde unser Dorf langsam wieder leer. Lübeck baute Wohnungen und mit Beziehungen und Bezugscheinen konnten die ersten sich in Lübeck ansiedeln.

Arbeit war sehr knapp ,das Essen noch mehr und der Wohnraum erst recht. Und so arbeiteten wir uns langsam an die Währungsreform heran, Carepakete erleichterten vielen Familien mit Kindern das Überleben. Es gab wenig Bürokratie, das Hauptamt war das Wohnungsamt, glaube ich. Die Flüchtlingsbeauftragten waren sehr unbeliebt, mussten sie doch Wohnräume ausfindig machen und beschlagnahmen. Niemand sah sie gerne ins Haus kommen. Die Lebensmittelversorgung lief über Markenzuteilung, die Rationen reichten aber kaum zum Überleben. Deutschland war zu der Zeit schlank und rank und wahrscheinlich gesünder als heute.