Beschreibung der Kringelhöge

durch

Walter Müller "Die Stecknitzfahrt"

 

"Ein gutes Stück Geld kostet auch das nach allen Strapazen des Jahres am Dienstag nach der Amtswoche beginnende Fest, die „Kringelhöge". Anlässlich dieses Festes wurden die Waisenkinder der Stadt mit Kringeln (Backwerk) beschenkt, worüber diese sich hügten (freuten); daher der Name. Früher feierte man mehrere Tage. Heute begnügt man sich mit einem Tag. Dass aber die Kringelhöge auch jetzt noch alljährlich am Ende der zweiten Woche nach dem Tag der Heiligen Drei Könige in Lübeck gefeiert wird, obgleich die Stecknitzfahrt schon seit 100 Jahren vorbei ist, bedarf einer näheren Erklärung.Das (angemaßte) Recht der Lübecker Salzfuhr, die schon seit langer Zeit hauptsächlich Kaufmanns­güter verfrachtete, auf alleinige Nutzung des Stecknitzkanals, ließ sich im 19. Jahrhundert nicht mehr halten. Im ganzen Deutschen Reich wurden die Privilegien einzelner Gruppen allmählich abgebaut. Mit Wirkung vom 1. Januar 1845 wurde durch ein Dekret der Lübecker Regierung sowohl die Innung der Salzfuhr als auch die der Stecknitzfahrer aufgehoben. Ab sofort konnte jedermann Schiffe besitzen und, wenn er im Besitz eines gültigen Patentes war, den Stecknitzkanal befahren.

Das „Amt der Stecknitzfahrer" gab es also fortan nicht mehr. Die in Jahrhunderten zusammen gewachsenen Schiffer ließen sich aber nicht zersplittern. Zwar wurde das Amtshaus verkauft, weiterer Besitz und weiteres Amtsvermögen wurde unter ihnen aufgeteilt. Doch auch danach hielt man weiterhin fest zusammen.

Mit finanzieller Hilfe der Stadt können sich nunmehr die Schiffer eigene, größere Schiffe bauen, mit denen sie auch die Elbe befahren. Sie sind jetzt Flussschiffer und gründen 1854 einen Verein. Das Vereinsleben verläuft in den gleichen Bahnen wie einst das Amtsleben. Auch jetzt noch kom­men Neuaufnahmen fast nur aus den Reihen der eigenen Familien in Betracht. In der Mitglieder­liste des Jahres 1845 kommt der Name „Westfehling" dreizehnmal, der Name „Stühff" sechsmal, „Bruns" fünfmal und „Stallbaum" viermal vor! Dieser fast familiäre Kreis der Lübecker Flussschiffer (heute sagt man Binnenschiffer) hat sich bis heute erhalten. Die gleichen Namen sind auch jetzt noch unter den derzeit 32 Mitgliedern stark vertreten. Der Verein, schon seit der Gründung immer um die 30 Personen, hat zwar im Laufe der Zeit einige Veränderungen erfahren, doch die Tradition des alljährlichen Festes der Kringelhöge wird immer noch aufrechterhalten.

„Das Amt der Stecknitzfahrer e.V. zu Lübeck", wie der Verein seit 1936 wieder heißt, lädt dazu etwa 200 Personen ein. Jeder, der im Raum zwischen Elbe und Ostsee mit Hafen und Schifffahrt zu tun hat, kommt gern zu dieser traditionsreichen Veranstaltung. Die Amtsbrüder, vielfach Schiffseigner, die auf allen Wasserstraßen der Bundesrepublik zu Hause sind, versuchen alles, um zu dieser Zeit in Lübeck anwesend zu sein. Das Fest beginnt mit einem Herrenfrühstück. Mit dem Glockenschlag 10 Uhr werden mit einem Tusch der Musikkapelle die Türen des Festsaales geöffnet, und die Gäste nehmen an langen, festlich gedeckten Tischen Platz. Jeder hat sein Frühstück mitgebracht und vorher bei den Schaffern abgegeben, die es dann appetitlich angerichtet servieren. Bis in die zwanziger Jahre hinein war es lediglich erwünscht, dass jeder Gast etwas Trink-und Essbares zum Fest beisteuerte. Von alters her bis heute geblieben ist die Sitte, dass Braunbier aus über 100 Jahre alten, reich gravierten zinnernen Krügen getrunken wird, die mit dem alten Trinkspruch „Ik drink di to" – „Dat do" – „Ik mag nick mehr" – „Lang mi mal her" reihum gehen" Mit einem Händedruck und einem Faustschlag auf den Tisch wird dieser Komment besiegelt. Damit das reichlich mitgebrachte Frühstück nicht zu schwer im Magen liegt, steht Hochpro­zentiges auf den Tischen bereit. Grußreden und Ansprachen vom Honoratiorentisch lassen sich bei gutem Essen und Trinken auch besser verdauen.Doch dann folgt der mehr gemütliche Teil. Das Frühstücksgeschirr wird abgeräumt; dafür Kommen jetzt Zinnteller mit Tabak auf die Tische. Lange Kalkpfeifen werden gestopft und mit bereitliegen­dem Fidibus angezündet. Mit großem Hallo wird Strafgeld (mehr Spende für die Ausgestaltung des Festes) kassiert, wenn jemand nicht mit dem Fidibus seine Pfeife anzündet. Jeweils drei bis fünf Personen bestellen sich beim Schaffer eine Terrine mit dampfendem Rumgrog. Am Vorstandstisch erhebt sich der amtierende Ältermann und gebietet: „Wir singen jetzt das Lied Nr ...... Die Kapelle intoniert, und aus 200 mehr oder weniger stimmbegabten Männerkehlen hallt es durch den Saal.

Von alters her gehört ein recht umfangreiches Liedgut zur Kringelhöge. Schon der manchmal recht derben Texte wegen ist es vielleicht richtig, dass das „Amt" beschlossen hat, auch jetzt noch an dem alten Brauch festzuhalten und keine Frauen bei diesem Frühstück zuzulassen. Der Nachmittag gehört dann den Kindern, und am Abend vereinen sich wieder Gastgeber und Gäste mit ihren Damen zum Festball. Doch eine Stunde bevor der Ball beginnt, trifft sich noch eine kleinere Herrenrunde zum „Kondor". Auch dieses ist ein Relikt aus alten Zeiten. Das Wort deutet auf eine Entstehung in der französischen Zeit (1806 - 1813).

Die Teilnehmer sitzen um einen langen Tisch, die Frauen und nicht teilnehmenden Gäste als Zuschauer rundherum. Ein Schaffer reicht irgendeinem der Tafelrunde einen gefüllten Bierkrug (heute meist nur noch zum Teil gefüllt) und ruft gleichzeitig den Textanfang eines Liedes, das dann sofort unter Musikbegleitung von allen gesungen wird. Während des Gesanges, es wird,immer nur eine Strophe gesungen, soll der Krug geleert werden. Gelingt es dem Trinkenden, so wird ihm durch neuerlichen Gesang: „Dies gilt unserm Kamerad, der so brav gesoffen hat" Lob gezollt. Schafft er es aber nicht, den Krug zu leeren, so muss er sich den scheltenden Vers: „He hett nich ut, he hett nich ut! Rein ut, rein ut! Nu wischt he sine Snut!" so lange anhören, bis er ausgetrunken hat. Außer­dem hat er ein Strafgeld in die Amtslade zu legen. Anschließend bekommt auch er die Anerkennung: „Dies gilt unserm Kamerad usw". Das Ganze wird solange fortgeführt, bis jeder Teilnehmer einmal dran war. Die Reihenfolge liegt im Ermessen des Schaffers.

Zur weiteren Aufbesserung der Amtskasse hat man sich schon von Anfang an noch folgenden Trick einfallen lassen: Der Deckel der auf dem Tisch stehenden Amtslade wird durch den kunstvoll dar­unter gestellten Schlüssel nur einen Spalt weit geöffnet. Bei der geringsten Erschütterung muss der Schlüssel kippen und die Lade zuschlagen. Derjenige der Runde, der bei diesem mit Spannung er­wartetem Ereignis als Verursacher ermittelt wird, muss eine Buße in die Kasse zahlen. Immer noch wird dieses heitere Spiel, aus Ehrfurcht vor seinem Alter, wie eine feierliche Handlung ausgeführt.

Die „Kringelhöge" der Lübecker Stecknitzfahrer ist wohl eines der ältesten der hiesigen traditionsgebundenen Feste. Hoffentlich bleibt es uns noch recht lange erhalten."

(Quelle: Walter Müller : Die Steckniitzfahrt, S.60-64, 1989)

 

 
 
 
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